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28.02.2018

Rhizarthrose: Wenn der Daumen nicht mehr mitspielt

Kathy Andrews kann nach einer Operation am Daumen wieder ihre Instrumente spielen und sticken. Chefarzt Dr. Berndsen setzte ihr im Immanuel Krankenhaus Berlin eine körpereigene Prothese ins Daumensattelgelenk.
Tag der Hand: Nach einer Operation am Daumen kann eine Rhizarthrose-Patientin wieder ohne Schmerzen Harfe spielen.

Mit einer am Daumensattelgelenk eingesetzten Prothese aus einem Streifen einer eigenen Handgelenkssehne kann Kathy Andrews wieder die Saiten der Harfe zupfen.

Tag der Hand: Nach einer Operation am Daumen kann eine Rhizarthrose-Patientin wieder ohne Schmerzen sticken.

Bei Rhizarthrose schmerzt das Zusammenpressen von Daumen und Zeigefinger, wie hier beim Sticken, besonders. Fotos: Jenny Jörgensen

Kathy Andrews war gestresst, irgendwie aus dem Gleichgewicht. Aber weder war sie sich dessen wirklich bewusst, noch hätte sie gewusst, warum. Ihr fiel nicht auf, dass einiges anders lief als sonst, sie sich anders verhielt und Vermeidungsstrategien gegen den Schmerz entwickelt hatte. Bis zu dem Tag, an dem sie einen Nervenzusammenbruch hatte.

Plötzlich wurde alles, was sie bislang so sehr beschäftigt und auf Trapp gehalten hatte, dass sie gar nicht merkte, wie es ihr ging, unwichtig. Ihre internationalen Schüler, die sie zum Abitur führen sollte, ihre Kollegen, die für sie einspringen mussten, das professionelle Orchester, das auf seine Oboistin verzichten würde, ihre privaten Musikschüler und ihre Onlineschüler aus aller Welt, die sie per Video in der alten englischen Crewel-Sticktechnik unterrichtete. Auch ihre Liebe zum Spielen der Harfe, des Klaviers, der Gitarre, des Cellos und der Blockflöte trat in den Hintergrund. Einzig ihr Ehemann Steve konnte ihr jetzt helfen herauszufinden, was denn eigentlich los war mit ihr, warum sie auf einmal aufgehört hatte zu funktionieren. Denn sie liebte doch ihr Leben, so wie es war.

„Mit Ihren Daumen stimmt etwas nicht“

Die Amerikanerin aus dem Mittleren Westen der USA war gern Lehrerin an internationalen Schulen rund um den Globus: Taiwan, Türkei, England, Schottland, Schweiz, Katar, USA und Deutschland, erst in Bonn und seit 2007 in Berlin. In Bonn hatte sie 2001 Steve kennengelernt, ihren zweiten Ehemann. Der großgewachsene Engländer und ehemalige Nationalspieler für die englische Volleyballmannschaft war ebenfalls „international teacher“. Ihre gemeinsame große, helle Loftwohnung in den ehemaligen McNair-Baracken für die amerikanischen Streitkräfte in Zehlendorf beherbergte geschmackvoll arrangierte Möbel, Kunst und andere Erinnerungsstücke aus ihren vielen Lebensorten. Eine kleine Galerie mit kunstvoll von ihr selbst gestickten Bildern dokumentierte ihre Leidenschaft für die klassische englische Nadelarbeit des 17. Jahrhundert. Kathys Töchter und Steves Kinder waren aus dem Haus und auf einem guten Weg. Alles war doch gut, wenn ihr Leben zugegebenermaßen auch sehr intensiv und voll war, vielleicht sogar ein wenig zu voll. Aber, wie sich herausstellen sollte, war es tatsächlich nicht das, was sie aus der Bahn geworfen hatte.

Die Ursache dafür war viel einfacher. Und sie war gut zu beheben. Sie lag in ihren Händen. Zunächst dachte Kathy Andrews, es wären die Grübchen, die sie auf ihren Handinnenflächen entdeckte. Sie erfuhr, dass diese Grübchen durch kleine Knoten entstanden. Sie hatte Dupuytren. Dabei wachsen im Bindegewebe um die Fingergrundgelenke gutartige Tumore, die im Verlauf die Streckung der Finger behindern können. Doch die vielseitige Musikerin und Nadelkünstlerin hatte Glück, sie hatte die Anzeichen sehr frühzeitig bemerkt. Mit einer Strahlentherapie ließen sich die Knoten gut behandeln, das Fortschreiten der Erkrankung konnte aufgehalten werden. Erst die Ergotherapeutin, die sie zusätzlich zur Bestrahlung aufsuchte, erkannte das eigentliche Problem. „Ihr Dupuytren ist gut im Griff. Aber mit Ihren Daumen stimmt etwas nicht. Sie machen Ausweichbewegungen. Ich vermute, Sie haben Gelenkverschleiß im Daumensattelgelenk, Rhizarthrose.“ Die Ergotherapeutin riet ihr, in die Ambulanz der Abteilung Obere Extremität, Hand- und Mikrochirurgie im Immanuel Krankenhaus Berlin in Wannsee zu gehen, um ihre Hände dort untersuchen zu lassen. „Ich arbeite viel mit den Ärzten dort zusammen. Die können Ihnen helfen.“

Der Wendepunkt


Das war der Wendpunkt. Kathy Andrews fing an, sich selbst zu beobachten. Erst jetzt fielen ihr die Schmerzen im Daumen und die Ausweichbewegungen, die sie machte, auch selbst auf. „Beim Korrigieren von Schülerarbeiten merkte ich plötzlich, dass ich den Stift nicht mehr zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, sondern zwischen Zeige- und Mittelfinger“, erinnert sie sich. „Meine Kaffeetasse hob ich mit einer Hand am Henkel hoch und stützte sie von unten mit der anderen Hand. Um meine Jeans anziehen zu können, drehte ich meine Handflächen nach außen, um die Hose nicht mehr zwischen Daumen und Faust festzuhalten, sondern nur mit den zu Haken geformten Fingern hochzuziehen.“

Im Immanuel Krankenhaus Berlin ließ Chefarzt Dr. Michael Berndsen ihre beiden Hände röntgen und bestätigte: Das Daumensattelgelenk zwischen Daumenbasis und speichenseitiger Handwurzel war verschlissen. Die 61-Jährige hatte eine beidseitige, fortgeschrittene Rhizarthrose. „Betroffen davon sind vor allem Frauen nach der Menopause. Typischerweise treten Schmerzen zum Beispiel beim Versuch auf, ein Marmeladenglas aufzudrehen“, erklärte ihr Dr. Berndsen.

Bei Kathy Andrews schmerzten das Halten der Oboe und der Blockflöte sowie das Zupfen der Saiten der Gitarre und der Harfe. „Auf dem Klavier konnte ich Beethoven nicht mehr spielen. Mir fehlte die für seine Stücke notwendige Kraft und Koordination“, erzählt sie. „Und vor allem merkte ich es beim Sticken. Ich habe fünf bis sechs Stunden am Tag mit Nadelarbeit verbracht und dabei immer Daumen und Zeigefinger zusammengepresst.“

Epping-Plastik als biologischer Gelenkersatz


Der Chefarzt riet Kathy Andrews zu einer Operation: „Es gibt zwar sehr gute konservative Therapien. Aber wenn der alltägliche Einsatz der Hand nicht mehr möglich ist, sollte operiert werden.“ Michael Berndsen klärte sie über die Operation auf und führte auch den Eingriff durch. „Wir favorisieren eine Operationstechnik, bei der wir das deformierte Vieleckbein an der Daumenbasis entfernen. Anschließend hängen wir den ersten Mittelandknochen an der halbierten Sehne eines Handgelenksbeugers auf und legen die Sehne an den Platz wo vorher das Vieleckbein war und erreichen so sowohl eine Schmerzfreiheit wie auch eine volle Beweglichkeit.“

Kathy Andrews war froh, endlich die Ursache für ihre Schmerzen und, da ist sie sich heute sicher, für ihren Zusammenbruch gefunden zu haben und willigte in die OP ein. „Wenn wir Schwächen unseres Körpers, die uns beeinträchtigen, lange genug ignorieren und verdrängen, hat das Auswirkungen auf unsere Psyche“, sagt sie.

Außergewöhnlich schnelle Fortschritte mit Ergotherapie


Zuerst kam die linke Hand dran, später die rechte. Die Operationen verliefen erfolgreich. „Dort, wo das Vieleckbein war, habe ich jetzt eine Epping-Plastik. Dafür wurde die halbierte Sehne aus meinem Handgelenk wie eine Schnecke zusammengerollt und in die Lücke gesetzt.“ Die Plastik aus Kathy Andrews eigener Sehne hat einen weiteren wichtigen Vorteil: Im Gegensatz zu einem künstlichen Gelenk ist sie eine dauerhafte Lösung.

Nach drei Tagen im Krankenhaus wurde Kathy Andrews nach Hause entlassen. Zwei Wochen musste ihre Hand im Gips bleiben. Dann ging die ergotherapeutische Behandlung los. „Frau Andrews machte außerordentlich schnelle Fortschritte und konnte sehr schnell wieder Klavier und andere Instrumente spielen“, erinnert sich Dr. Berndsen. Die Musikerin machte auch zu Hause fleißig ihre Übungen. „Ich mochte nicht das Gefühl der ersten Hilflosigkeit. Deshalb habe ich intensiv trainiert“, erzählt Kathy Andrews. Wenn es ihr manchmal trotzdem nicht schnell genug ging, machte ihr Mann ihr Mut, sich auf die täglichen Erfolge zu konzentrieren. „Steve behielt meine Fortschritte im Auge. Und so war es ein großer Tag für mich, als ich zum ersten Mal meine Jeans wieder richtig anziehen und den Reißverschluss zu machen konnte.“

Handchirurgie ist in Deutschland weiter als in den USA


Seit der OP ist Kathy Andrews wieder ganz ihr fröhliches und zuversichtliches Selbst. Sie kann wieder ohne Schmerzen alle ihre Instrumente spielen und sich ausgiebig ihren Stickarbeiten und den Videotutorials widmen. Die Arbeit als Lehrerin an der internationalen Schule hat sie nicht wieder aufgenommen, und auch im Orchester spielt sie nicht mehr. Sie ist jetzt im Ruhestand und gerade mit ihrem Mann wieder in die USA zurückgekehrt, um näher bei ihrer Familie sein zu können. „Wenn ich aber noch einmal eine Handoperation brauche, gehe ich wieder ins Immanuel Krankenhaus“, ist sie sich sicher. „Die Handchirurgie ist in Deutschland viel weiter als in den USA. Sie ist auch nicht so teuer, selbst mit den Kosten für den Flug. Und im Immanuel Krankenhaus ist es sehr gemütlich. Das Team dort ist fantastisch und so freundlich“, sagt sie mit der Begeisterungsfähigkeit einer Amerikanerin.

Von Jenny Jörgensen

 
 
 
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