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„Bin ich schuld?“ – Hilfe bei häuslicher Gewalt gegen Frauen
Zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November berichtet Heike Brendel, Leiterin der Familienberatungsstellen der Immanuel Beratung, über ihre Erfahrungen mit diesem sensiblen Thema.Häusliche Gewalt gegen Frauen nimmt zu und kennt keine geographischen Grenzen. Sie beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Alter oder eine bestimmte Hautfarbe und betrifft alle Arten familiärer Beziehungen und sozialer Klassen.
Rund 25 Prozent der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren haben mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch Beziehungspartnerinnen und Beziehungspartner erlebt. Dies zeigt eine im März 2014 veröffentlichte repräsentative Studie der Europäischen Grundrechteagentur zum Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in Europa.
Am 25. November ist Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, ein Gedenk- und Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber Frauen und Mädchen. Heike Brendel, Diplom-Psychologin und Leiterin der Familienberatungsstellen der Beratung + Leben GmbH in Brandenburg, berichtet im nachfolgenden Interview über ihre Erfahrungen mit diesem sensiblen Thema und darüber, wie betroffenen Frauen geholfen werden kann.
„Scham ist ein sehr mächtiges Hindernis“
Wie Heike Brendel und ihr Team betroffene Frauen unterstützen
Wie oft kommt es vor, dass Frauen, die in Ihre Beratungsstelle kommen, Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind?
Ich bin seit über 20 Jahren Psychologin und komme immer wieder mit dem Thema ‚Häusliche Gewalt‘ in Berührung, genauso auch meine Teamkollegen. Zwar sind wir als Familienberatungsstellen nicht in erster Linie Opferberatungsstellen, aber es sind in jedem Monat einige Frauen unter den Ratsuchenden, von denen wir erfahren, dass sie von ihrem Partner geprügelt, misshandelt oder zum Sex gezwungen worden sind.
Bei weitem nicht immer kommen die Betroffenen gleich mit diesem Anliegen zu uns. Oft geht es zunächst um andere Dinge - und erst, wenn nach einigen Stunden ein Vertrauensverhältnis entstanden ist, berichten uns die Frauen von ihrer Not.
Sind auch junge Mädchen darunter?
Jugendliche tun sich allgemein sehr schwer damit, sich bei erlebter Gewalt einer fremden Person zu offenbaren. Ihre Vertrauten sind Gleichaltrige. Wenn sie sich dann doch an eine Beratungsstelle wenden, dann ist das Ausmaß des Leidens meist besonders gravierend. Häusliche Gewalt ist natürlich bei Mädchen vor allem ein Problem, das von den Eltern ausgeht. Prügelnde Männer machen oft auch vor ihren pubertierenden Töchtern nicht Halt, wenn diese autonomer werden wollen.
Die Spirale setzt sich dann manchmal unheilvoll fort: Mitunter binden sich betroffene Mädchen in hochverstrickten Beziehungen wieder an gewaltbereite Jungen, wenn sie selber in einer häuslichen Atmosphäre von Schlägen, Unterdrückung und Angst gelebt haben. Sie lernten es nicht, dass man Konflikte auch fair mit Worten austragen kann. Ihr Selbstbild ist brüchig, ihre Beziehungsfähigkeit meist fragil.
Steht häusliche Gewalt bei Frauen auch im Kontext der Nationalität?
So wie es Gewalt gegen Frauen in allen sozialen Schichten gibt, gibt es sie auch in allen Nationen. Und fast überall geschieht sie im Verborgenen. Jedoch: In weniger emanzipierten Ländern, mit einem nicht gleichberechtigten Frauenbild, wird Gewalt gegen Frauen und Mädchen vermutlich stärker toleriert als in Mitteleuropa. Was ich sagen will: Auch hier in Deutschland findet diese Gewalt statt, aber sie ist doch heute weitgehend gesellschaftlich geächtet, glücklicherweise.
Das ist noch nicht überall auf der Welt so. Es gibt Gesellschaften fundamentalistisch-religiöser Prägung und Stammes- und Clangesellschaften, da herrscht der Mann über die Frau. Frauen sollen sich unterordnen. Wenn diese Frauen sich ihren Männern bzw. den vorgegebenen Regeln jedoch nicht beugen wollen, wird vom Mann Durchsetzung erwartet.
In Dauer-Kriegsgebieten ist zudem die männliche Sozialisation oft langjährig von massiver Gewalt geprägt. Entsprechend sind auch unter den hier lebenden Migrantinnen und Flüchtlingen einige Frauen, die extreme Gewalterfahrungen gemacht haben, ohne dass ihnen jemand beigestanden hätte. Ihnen müssen wir besonders helfen.
Wie schwer fällt es den Frauen darüber zu sprechen?
Es kann Jahre, ja Jahrzehnte dauern, bis Frauen sich offenbaren. Es tut weh, über eigene Hilflosigkeit und Angst zu reden. Meine Erfahrung ist es, dass oft erst unter großem Druck Hilfe gesucht wird; dass also der Prozess des Aushaltens und Verheimlichens gefühlt ewig dauern kann. Insbesondere dann, wenn die Beziehung zum Täter auf verschiedenen Ebenen festgezurrt ist, durch beispielsweise Kinder, ein Eigenheim, eine gemeinsame Firma, zögern sie.
Dem ‚Es war ja früher mal anders, es war mal schön‘ wird nachgetrauert. Wenn er vielleicht auch situativ Reue zeigt, wird die Hoffnung auf eine Änderung lange aufrechterhalten. Es gibt ja auch immer wieder Phasen, wo es gut läuft: Er bittet um Entschuldigung, er trinkt nicht, er macht Geschenke, ist fürsorglich… Niemand ist nur Gewalttäter.
Spielen auch Schuldgefühle eine Rolle?
Viele Frauen bedauern es im Nachhinein, nicht früher geredet zu haben. Aber manipulative Täterstrategien führen oft dazu, dass die Frauen die Schuld bei sich selbst suchen und sich deshalb nicht klar gegen Gewalt abgrenzen können. Sie fürchten, selbst den Anlass für die Eskalation geliefert zu haben. Das ist ganz typisch. Das Selbstbewusstsein wird ganz klein. Und Opfer schämen sich zuzugeben, es so lange ausgehalten zu haben. Scham ist ein sehr mächtiges Hindernis.
Ist es in der Partnerschaft oder innerhalb der Familie häufiger zu gewalttätigen Übergriffen gekommen, bevor sich das Opfer dazu entschließt, Hilfe in Anspruch zu nehmen?
Es gibt Frauen, die sich nach dem ersten Übergriff sehr konsequent verhalten, Anzeige erstatten und eine Trennung herbeiführen. Diese Frauen wenden sich eher selten an uns. Die Regel sind jahrelange familiäre Gewaltserien hinter der geschlossenen Haustür. Viele Frauen arbeiten Beziehungsgewalt sogar erst dann auf, wenn sie gar nicht mehr mit dem Täter zusammenleben. Es kann häufig erst nach der Trennung ausgesprochen werden, was vorher jahrelang runtergeschluckt wurde. Und es ist sehr gut, da nochmal hinzuschauen, damit sich solche Muster nicht wiederholen.
Wie sieht ein konkretes Hilfsangebot durch Sie als Beraterinnen aus?
Gewalt darf nie ein Mittel der Auseinandersetzung sein. Wir bestärken Frauen darin, dass es keinen, wirklich keinen Grund gibt, Schläge oder auch nur deren Androhung auszuhalten. Wir decken gemeinsam auf, auf welche Weise Täter ihre Opfer manipulieren, verwirren und subtil bedrohen. Ganz besonders geht es nämlich für diese Frauen darum, die Angst zu reduzieren und realistische Ziele für ein gewaltfreies, besseres Leben zu finden.
Natürlich unterstützen wir sie ggf. darin, eine Trennung vom Täter herbeizuführen bzw. – wenn die Frau dies nicht will – zeigen wir ihr die Konsequenzen auf und besprechen Notfallpläne. Wenn der Täter wirklich veränderungsbereit ist und beide daran interessiert sind, informieren wir ihn über Therapiemöglichkeiten. Einen ganz gezielten Blick haben wir immer auf die Kinder in diesen Familien. Sie bedürfen eines ganz besonderen Schutzes, denn als Kind Zeuge von häuslicher Gewalt zu sein, das prägt das ganze Leben.
An wen können sich Frauen in einer Notsituation wenden? Gibt es sofortige Hilfe?
Jede Frau, die sich an eine der Immanuel Beratungsstellen von Beratung + Leben wendet, findet einen Gesprächspartner, der sich vertraulich für sie Zeit nimmt und mit ihr gemeinsam nach Auswegen aus der Gewaltspirale sucht. Aber wir haben natürlich Dienstzeiten und sind nicht rund um die Uhr erreichbar.
Daher sehen wir unsere Aufgabe auch eher darin, die Frau in ihren inneren Veränderungsprozessen zu stärken.Frauen in akuten äußeren Notsituationen sollten sich sofort an die Polizei wenden. Diese wird unmittelbar handeln und das Opfer schützen, mit allen gesetzlich verfügbaren Mitteln. Dort sind auch die Adressen der Frauenhäuser bekannt. Es ist nie zu spät für eine Lösung.
Ihre Ansprechpartnerin vor Ort
Heike Brendel
Diplom-Psychologin und Leiterin der Familienberatungsstellen
Beratung + Leben GmbH
Immanuel Beratung Zehdenick
Im Kloster 1
16792 Zehdenick
h.brendel@immanuel.de
T: 03307 310-012
Ihre Presse-Ansprechpartnerin
Monika Vogel
Pressereferentin und Medienkoordinatorin Immanuel Diakonie
Immanuel Diakonie
Am Kleinen Wannsee 5 A
14109 Berlin
mh.vogel@immanuel.de
T: 030 80505-843 und 0176 23234511
Basis-Informationen
Beratung + Leben
Evangelisch-Freikirchliche Beratungs- und Sozialdienste in Berlin und Brandenburg
Unter dem Dach der Immanuel Diakonie arbeitet die gemeinnützige Beratung + Leben GmbH als Evangelisch-Freikirchliche Beratungs- und Sozialdienste in Berlin und Brandenburg. Beratung + Leben bietet psychosoziale Beratung und Unterstützung für Familien, Paare und einzelne Personen in schwierigen Lebenssituationen, Konflikten oder Notlagen an. Dies geschieht zurzeit in 20 Beratungsstellen und Sozialprojekten in Berlin und Brandenburg.
Die stetig knapper werdenden öffentlichen und kirchlichen Mitteln stehen im Gegensatz zur steigenden Anzahl beratungsbedürftiger Menschen. Aus diesem Grund unterstützt der Förderverein Beratung + Leben e.V. die Arbeit in den Beratungsstellen. Ein zentrales Projekt des Fördervereins ist dabei der ZelterPate mit Axel Prahl als unterstützendem Gesicht.
Weitere Informationen:
Immanuel Diakonie
Die Immanuel Diakonie betreibt Kliniken, Arztpraxen, Senioreneinrichtungen sowie Einrichtungen der Suchtkranken- und Behindertenhilfe und Beratungsstellen an ca. 50 Standorten in Berlin, Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Sitz des Unternehmens, das insgesamt ca. 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, ist Berlin. Dienstleistungsgesellschaften im Bereich der Gesundheitsversorgung gehören ebenfalls zur Immanuel Diakonie, deren alleinige Gesellschafterin die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Schöneberg, Hauptstraße, K.d.ö.R. (baptisten.schöneberg) ist.