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Diabetes und Psyche: Zucker und Seele im Blick behalten
Angst davor, das Haus zu verlassen, Angst, sich spritzen zu müssen, Angst vor Blamage. Diabetes-Patienten leiden nicht nur körperlich sondern auch an ihrer Seele. Wie Diabetes-Berater dabei helfen können, erklärt Monique Harp.Manche Menschen, die an Diabetes erkranken, verlassen ihre Wohnung nicht mehr, weil sie fürchten, sonst nicht rechtzeitig Hilfe zu erhalten. Andere haben übermäßige Angst vor der Insulinspritze oder fühlen sich in Menschenansammlungen unwohl. Viele plagen auch soziale Ängste. Aus Scham verzichten sie auf ihre Injektion, wenn sie etwa in einem Restaurant essen gehen.
Es ist eine der größten Volkskrankheiten Deutschlands: Mehr als 4,5 Millionen Menschen leiden an Diabetes mellitus, umgangssprachlich auch „Zuckerkrankheit“ genannt. Was viele nicht wissen: jeder achte Mensch mit Diabetes mellitus leidet auch an einer Depression, jeder dritte Patient weist eine erhöhte Depressivität auf – so die Deutsche Gesellschaft für Diabetes (DDG).
Monique Harp, Diabetesberaterin in der Immanuel Klinik Rüdersdorf, erzählt zum Welt-Diabetestag am 14. November, wie sie ihre Patienten bei der Akzeptanz und Bewältigung der Krankheit unterstützt.
Wie häufig spielen Ängste bei der Diagnose „Diabetes“ eine Rolle? Sprechen Sie mit den Patienten über ihre Ängste?
Wenn die Diagnose Diabetes gestellt wird, gibt es ganz unterschiedliche Reaktionen. Diese reichen von: „Ach war klar, dass ich das bekomme, meine Eltern hatten das auch“ und „Ist nicht so schlimm, hat ja fast Jeder“ bis „Was habe ich nur falsch gemacht?“.
Die größte Angst in Verbindung mit der Erkrankung ist meist, irgendwann Insulin spritzen zu müssen. Wenn man den Patienten in einem einfühlsamen Gespräch die hochmodernen Spritzen und Nadeln zeigt, verlieren sie ihre Ängste oft. Vor allem ist es hilfreich, Gruppenschulungen durchzuführen, in denen neue Patienten die Möglichkeit haben, sich mit den „alten Hasen“ auszutauschen. Hier können viele Ängste durch Gleichgesinnte genommen, die Krankheit besser bewältigt werden.
Spielt dabei auch der Zeitpunkt beziehungsweise das Alter des Menschen bei Erkrankungsbeginn eine Rolle?
Es ist sicher ein großer Unterschied, ob ich schon als Kleinkind damit aufwachsen muss und gar nichts anderes kenne, weil es einfach zu meinem Leben dazu gehört, oder ob ich den Diabetes vielleicht genau zur Pubertät bekomme, wo ich ganz andere Sorgen habe. Im fortgeschrittenen Alter gehen viele Patienten wesentlich gelassener mit der Diagnose um, weil der Diabetes des Typs II oft gut mit Tabletten eingestellt werden kann. Das ist doch wesentlich einfacher, als gleich mit einer Insulinspritze konfrontiert zu werden – wie es ja meistens im Kindes- und Jugendalter vorkommt.
Zu Beginn der Erkrankung ist das A und O, wie dem Patienten die Diagnose übermittelt wird. Es ist wichtig, ihn im Alltag zu unterstützen, damit er die Krankheit besser bewältigen kann. Hierzu gehören auch die Diabetesschulung und eine engmaschige Betreuung des Patienten.
Was sind die häufigsten Ursachen für die Entwicklung von Angststörungen bei Diabetes?
Die meisten Patienten kennen noch die Geschichten von früher. Viele Diabetiker haben damals ihre Beine verloren oder sind erblindet. Es sind diese Folgeschäden, die den Patienten Angst machen. Gerade der Diabetes Typ I birgt tagtägliche Herausforderungen. Wir als gesunde Menschen können bedenkenlos Nahrung zu uns nehmen, müssen nicht errechnen, wie viele Broteinheiten (BE) wir gerade essen, wie die Nahrung zusammengesetzt ist und wie hoch der Blutzucker durch ein bestimmtes Lebensmittel ansteigt.
Hinzu kommt der Frust, wenn der Blutzuckerwert nach dem Essen schlecht ist und ich mir die Schuld dafür gebe, weil ich denke, vielleicht doch falsch berechnet zu haben. Es ist von einem Diabetiker viel verlangt, sich jeden Tag mit Fragen auseinanderzusetzen wie: „Was esse ich?“, „Wie sieht mein Alltag heute aus?“, „Möchte ich Sport treiben und muss vorher noch etwas essen, um nicht zu unterzuckern?“. Es sind diese Herausforderungen, die viele Patienten an ihre Grenzen bringen, weil sie sich nicht mehr auf das „Schöne im Leben“ konzentrieren können.
Am Anfang sind gerade viele Patienten mit dem Typ I Diabetes noch hochmotiviert. Sie wiegen jedes Nahrungsmittel ab, berechnen genau und analysieren ihren Alltag, um alles richtig zu machen. Später ist das oft nicht mehr umsetzbar, weil es der Alltag gar nicht mehr zulässt. Das führt wiederum zu Frust und Stress bei den Patienten. Jeder hohe Blutzuckerwert wird kritisch gesehen, weil man glaubt, versagt zu haben. Wenn dieses Denken über viele Jahre besteht, kann das langfristig zu Depression führen.
Wie unterstützen Sie Ihre Patienten bei der Akzeptanz und Bewältigung der Krankheit?
Mein oberstes Gebot ist, die Patienten bei der Erstdiagnose nicht alleine zu lassen, immer auf ihre Gefühle einzugehen, ihre Ängste und Sorgen zu verstehen und ihnen hierbei zu helfen. Jeder Mensch reagiert anders und benötigt eine andere Art der Unterstützung. Viele haben zunächst eine ablehnende Haltung, denken, „das geht wieder weg“. Es gibt auch Schuldgefühle, im Leben etwas falsch gemacht zu haben. Daran anzusetzen ist sehr wichtig, die Schuldgefühle zu nehmen und bei der Akzeptanz der Erkrankung zu unterstützen. Die Begleitung chronisch kranker Menschen ist von immenser Bedeutung. Je näher der Bezug zum Diabetesberater oder auch zum Diabetologen ist, umso besser können die Patienten am Ende mit der Diagnose umgehen.